Der Klimawandel meint mehr als das verstärkte Auftreten von Extremwetter – er bezeichnet den Anbruch einer neuen Ära der Erdgeschichte, für den wir denkbar schlecht gerüstet sind.
Gastbeitrag von Aaron Sterniczky Politikwissenschafter, Klimaforscher |
Die Evolutionsbiologie lernt uns die Einsicht, dass die Entstehung von Leben nur dort möglich ist, wo sich natürliche Habitate finden, die dieses gedeihlich fördern. Leben gründet auf planetaren Voraussetzungen, von denen es unmittelbar abhängt, die es selbst nur bedingt beeinflusst. Für den Aufbau von Zivilisationen gilt das noch eklatanter: Siedlung in Städten, die Kultivierung von Land, die Domestizierung von Vieh, die Kontrolle über die Wasserversorgung, Warenverkehr und Mobilität, landwirtschaftliche Kreisläufe, der Aufbau von Verwaltung, Handel und Kultur, all diese Elemente, die Zivilisation begründen, sind dann möglich, wenn es die planetaren Bedingungen zulassen. Es braucht die Vorhersehbarkeit von Wasserkreisläufen, Jahreszeiten, tradiertes Wissen über die Flora und Fauna, regionale und geografische Spezifika, Temperaturunterschiede und Konstanz, was die klimatischen Veränderungen über das Jahr hinweg betrifft, Verständnis von fruchtbaren Böden, um so agieren zu können, dass vorausschauendes Handeln möglich ist.
Es ist nun der menschverursachte Klimawandel selbst, der die Grundlagen dieser erwirkten Ordnung, massiv zu stören anfängt. Es geht also weniger um das verstärkte Extremwetter, das sich samt Konsequenz weltumspannend beobachten lässt und Gemeinschaften herausfordert, zweifellos schlimm genug. Es geht aber stattdessen um die schonungslose Gesamtbedeutung dessen, was gerade hier passiert.
Die Durchschnittstemperaturen steigen, dass lässt sich nunmehr das ganze Jahr über durchgängig fühlen und statistisch objektiv bestätigen. Dieser Sachverhalt ist allgemein bekannt. Dass aber mit einem Anstieg der Temperatur um einen Grad Celsius unter anderem der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre um 7 % zunimmt, das wird weit weniger gewusst und besprochen. Die Bedeutung dieser physikalisch-meteorologischen Gesetzmäßigkeit lässt sich jedoch kaum überstrapazieren: Wir beleben den Wasserplanten. Der größte Teil der Erdoberfläche ist von Wasser bedeckt, der Ursprung allen Lebens findet sich im Wasser, die Ozeane binden den größten Teil der C02-Emissionen, die der Mensch verursacht. Wasser macht als Feuchtigkeit den Boden fruchtbar und wirksame Wasserzyklen tragen dafür Sorge, dass Wassermassen mittels Regenmengen über Land verteilt werden. Nun ändern sich diese Konstanten radikal: Die Atmosphäre hält, wenn sie sich erwärmt, mehr Wasser in Form von Wasserdampf. Das führt zu Ausfällen von Regenzeiten, die gestaute Feuchtigkeit in der Atmosphäre selbst ist unter anderem dem Boden entzogen, der zusehends unfruchtbar wird. Wenn es dann zu Regenfällen kommt, dann passieren diese als Starkregen – der Boden schafft es nicht diese Wassermassen zu absorbieren, gerade vor dem Hintergrund intensivierter Bodenversiegelungen, was Überschwemmungen verursacht, Folgeschäden anrichtet, die globale Versorgung mit Nahrungsmittel gefährdet. Ein Bericht der FAO – der Food and Agriculture Organization der UN – analysiert entsprechend, dass ein Grad durchschnittliche Erwärmung das Risiko eines globalen Ernteausfalls von 10 % des globalen Ertrags impliziert. Für jedes Grad Anstieg der Durchschnittstemperatur also das Risiko von 10 % Ernteausfällen. Das lässt sich dokumentarisch im bürokratischen Tonfall beschreiben, führt aber eigentlich an die Grenzen der uns zur Verfügung stehenden Vorstellbarkeit, denn es mangelt der Erfahrung.
Gegenwärtig befinden wir uns als Weltgesellschaft auf dem Weg, die globale Durchschnittstemperatur bis zum Ende des laufenden Jahrhunderts um drei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu erhöhen. Das markiert aktuell die plausibelste Perspektive. Die Aussage mutet aber geradezu harmlos an. Vielmehr gilt es zu bedenken, was das nun tatsächlich bedeutet: Wir ändern die planetarischen Bedingungen so radikal, dass wir zu Ende dieses Jahrhundert im Grund genommen auf einem anderen Planeten leben als zu Beginn. Illustrativer gedacht, wir ziehen auf einen anderen Planeten um, ohne die Erde zu verlassen.
Die essenzielle Problematik besteht darin, dass wir unsere zivilisatorischen Grundlagen jedoch für den bestehen Planeten, nicht für den antizipierbaren gebaut haben und es höchst zweifelhaft erscheint, ob ökonomische, ökologische, soziale, gesellschaftliche, rechtliche, technologische, digitale, politische, kulturelle, kognitive, diskursive, religiöse, metaphysische und strukturelle Adaptierung in dem Ausmaß überhaupt möglich sein wird, wie sie in Zukunft notwendig erscheint, um überhaupt eine Zukunft zu haben.
Das ist was Klimawandel nun in der Essenz bedeutet: Der Anbruch einer neuen planetarischen Ära, den wir durch eigenes Handeln herbeigeführt haben, in Kenntnis der Massivität unseres Verhaltens. Eine Ära für die wir denkbar schlecht, ja nahezu vollkommen unzureichend gerüstet sind. Die individuelle Anerkennung dieses Sachverhalts und die kollektive Akzeptanz dieser so widersinnigen wie tatsächlichen Wirklichkeit, die einem Versagenseingeständnis gleichkommt, wäre der überfällige Schritt hin zum Beginn jener Transformation, die wir überfällig beginnen sollten. Die Chancen, den Zusammenbruch unserer zivilen Systeme und Errungenschaften als Folge der Klimakatastrophe abzuwenden, veranschlagt der renommierte Klimaforscher Joe Schellnhuber, der in der Vergangenheit mit seinen Prognosen oftmals akkurat richtig lag, gegenwärtig bei 10 % bis 20 %. Aber in Ergänzung dazu meint er, dass jeder Krebspatient, der eine 10% bis 20%ige Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Diagnose gestellt bekommt, tun wird, was immer er kann, um diese minimale Chance zu nutzen.
Was also auf persönlicher und kollektiver Ebene tun? Über sich hinauswachsen. Kollektiv, indem wir das Zeitalter fossiler Wertschöpfung hinter uns lassen, um nicht nur Überleben zu erwirken, sondern die vorhandene Möglichkeit eines globalen Fortschritts zu realisieren. Solange wir uns das Korsett fossiler Energien aufzwingen, solange unterbinden wir als Menschen nunmehr die Chance darauf. Auf individueller Ebene verlangt es das Bewusstsein, eigenes Handeln und die eigene Tätigkeit mit der planetarischen Krise in Bezug zu setzen. Wenn Sie also Filmemacherin sind, dann drehen Sie Dokumentationen darüber. Wenn Sie Architektin sind, bauen Sie besser Häuser. Wenn Sie Autoverkäufer sind, dann argumentieren Sie im Beratungsgespräch für die umweltschonendere Option. Wenn Sie als Ärztin agieren, klären Sie über die gesundheitlichen Folgewirkung beispielsweise von extremer Hitze auf. Wenn Sie Bürgerin einer Kleinstadt sind, dann engagieren Sie sich im Nachbarschaftsverband für das Fahrverbot in ihrer Gasse. Diese Selbstwirksamkeit führt zur Erfahrung, dass es weniger entscheidend ist, sich als Optimist oder Pessimist zu begreifen – sondern als handelnder Aktivist zu agieren. Die Änderung der aktiven Handlungsmuster, das bedeutet es, den Anbruch eines neuen Zeitalters zu vergegenwärtigen.
Gastbeitrag von Aaron Sterniczky auf Basis eines Vortrages bei der Inform 2021 in Oberwart
Oxford / Oberwart, Juli 2022